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Drama, Baby!

Die Oberligaherren des MTV 1860 Altlandsberg bezwingen den Tabellenzweiten HSV Insel Usedom nach einer wahren Handballschlacht mit 32:29 (17:16) Toren. Allen, die das Spektakel verpasst haben, kann versichert werden, wirklich etwas verpasst zu haben.

Seit Karl Valentin (oder Mark Twain) weiß man, dass Prognosen immer schwierig sind, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen, aber die Voraussage eines besser ungenannt bleibenden MTV-Fans in der 19. Minute der Partie, dürfte es wohl unter die Top Ten aller Fehlschlüsse schaffen: “Also das verspricht ja ein ziemlich langweiliger Abend zu werden”, murmelte er zufrieden und lehnte sich gemütlich in den Sitz zurück.

Zur seiner Ehrenrettung muss man allerdings zugeben, dass diese Lesart der Begegnung zu diesem Zeitpunkt durchaus nicht unbegründet war. Die Gäste von der Insel gingen zwar als erste in Führung, mit dem Altlandsberger 4:3 in der 5. Minute war es aber um die Usedomer Herrlichkeit geschehen. Über 6:3 und 10:7 für die Grün-Weißen stand 19 Minuten nach Anpfiff auf der Altlandsberger Ersatz-Anzeigentafel tatsächlich zu lesen: 16:8 für den MTV. Bis dahin zumindest deutete alles auf ein veritables HSV-Debakel hin. Wirklich gerechnet hatte damit natürlich niemand in der Erlengrundhalle. Die MTV-Fans nicht und die zahlreich angereisten Fans aus dem Norden erst Recht nicht.

Mussten sie auch nicht. Als hätten die Altlandsberger plötzlich Angst vor dem eigenen bis dahin so wunderbar couragierten Auftritt bekommen, legten sie urplötzlich den Schalter um, aber in die vollkommen falsche Richtung. Nico Cornelius – auch im Übrigen an diesem Tag mal wieder glänzend aufgelegt und mit insgesamt 9 Treffern an diesem Abend erfolgreichster MTV-Werfer – gelang zwar noch der 17. MTV-Treffer in der 21. Minute, danach aber allen Altlandsbergern zusammen gar nichts mehr. Allen Altlandsbergern? Nein. Torsteher Philipp Pohl muss man aus dieser Kollektivschelte ausnehmen. Nur weil er weiter alles hielt, was ansatzweise zu halten war, Sieben-Meter inklusive, durften seine Mannschaftskameraden und er immer noch mit einem Vorsprung in die Pause gehen. Auch wenn der mit 17:16 erheblich geschrumpft war.

Es war, selbst in den Augen der MTV-Fans, beeindruckend zu sehen, wie wenig sich die Usedomer von dem doch erheblichen Rückstand haben beeindrucken lassen. Und wie konsequent sie, obwohl nur mit neun Feldspielern angereist, über den Kampf ins Spiel zurück kehrten. Überragender Gästeakteur unter dem zunehmend frenetisch werdenden Jubel des Usedomer Anhangs war Dariusz Zajac, der allein in den letzten 120 Sekunden drei Buden erzielte (darunter eben auch den 16:17 Anschlusstreffer) und es über die ganze Partie betrachtet auf beeindruckende zehn Tore brachte.

Den inoffiziellen Titel des auffälligsten Aktiven des Abends machten ihm allerdings in Durchgang zwei gleich drei Mann auf dem Feld streitig. Zuallererst einmal mehr Altlandsbergs Torhüter Philipp Pohl. Der hatte zwar bereits in der ersten Hälfte herausragend gehalten, legte in der zweiten aber tatsächlich noch zwei, drei Schippen drauf und brachte abwechselnd die Gästeangreifer zur Verzweiflung und die MTV-Fans zur Verzückung. Dass die Usedomer trotz der, aus Altlandsberger Sicht, beängstigenden Aufholjagd letztlich nicht mehr Kapital schlagen konnten als drei Unentschieden (zuletzt 19:19 in der 34. Minute), war hauptsächlich Philipp Pohls Verdienst. Er vermittelte seinen Vorderleuten die Sicherheit, um sich nach einer ca. 15-minütigen mentalen Auszeit wieder zu fangen und ihrerseits spätestens beim Zwischenstand von 25:19 (46. Minute) das Heft des Handlens wieder fest in der Hand zu halten.

Was auch deshalb nicht selbstverständlich war, weil sich leider zunehmend die beiden Unparteiischen ins Bewusstsein des Publikums und beider Mannschaften pfiffen. Den beiden jungen Schiedrichtern drohte die Partie mehrfach zu entgleiten, was sich negativ auf ihr Auftreten auswirkte (zu viele Diskussionsrunden hauptsächlich mit der gegnerischen Bank), als auch ihr Entscheidungsverhalten beeinflusste. Elf Zwei-Minuten-Strafen und eine Disqualifikation (aufgrund der dritten Zeitstrafe) auf Altlandsberger Seite und nur fünf Zwei-Minuten auf Usedomer spiegeln nicht nur den tatsächlichen Spielverlauf, sagen wir mal, bestenfalls ungenügend wider, sie sorgten natürlich immer mehr für Aufregung bei der heimischen Anhängerschaft (vor allem als Josip Perkovic fälschlicher Weise die Rote Karte gezeigt bekam, weil die Schiris seine zweite Zeitstrafe kurzfristig für die dritte gehalten hatten) und für viele, viele Unterbrechungen, die einem geordneten Spielfluss und damit auch einer hochklassigen Partie im Wege standen.

Letztlich aber haben die MTV-Mannen in und mit diesem Match nachhaltig unter Beweis gestellt, dass es eben doch nicht an der Leistung der Schiedsrichter liegt oder liegen sollte, ob man ein Spiel verliert oder gewinnt. Die Referees sind auch nur Menschen und können, wie jeder Spieler auch, mal einen rabenschwarzen Tag erwischen. Lässt sich ein Team aber davon ungebührlich vom eigenen Matchplan abbringen, beginnt es sich mehr an den Leistungen der Unparteiischen abzuarbeiten als am Gegner, hat es den eventuell negativen Ausgang der Partie schließlich doch selbst zu verantworten.

Die Schützlinge von MTV-Coach Tilo Leibrich ignorierten jedenfalls die Irrungen und Wirrungen der Schiris nach Kräften und ließen sich weder von der 5-1, noch von der offenen Manndeckung der Gäste in der Schlussphase beeindrucken. Selbst als sie in den letzten zehn Minuten mehrfach in doppelter Unterzahl auf dem Feld standen, markierten die Grün-Weißen noch eigene Treffer, legten einen unbändigen Kampfgeist und zum Teil halsbrecherische Einlagen an den Tag, um den Gegnern freiwillig keinen Fußbreit der Erle zu überlassen. Wie dramatisch es in dieser Spitzenbegegnung der Oberliga Ostsee-Spree in Durchgang zwei teilwesie zuging, unterstreicht die Tatsache, dass in den letzten 60 Sekunden noch drei Tore fielen. Eines für die Gastgeber, zwei für die Gäste. Am alles in allem hart erkämpften und hochverdienten 32:29 Erfolg der Altlandsberger änderte das aber nichts mehr.

Das sind die Spiele, die am Ende einer Saison den Unterschied ausmachen”, lobte der Altlandsberger Übungsleiter seine Mannschaft mit Recht. “Nicht nur weil sie gewonnen wurden und jede zwei Punkte hoch willkommen sind. Sondern vor allem, weil sie dem eigenen Team nachhaltig vor Augen führen, zu was es in der Gemeinschaft fähig ist, wenn sich jedes einzelne Mitglied dieser Gemeinschaft für das kollektive Ziel hunderprozentig einzusetzen bereit ist. Wir werden alles daran setzen, dieses Niveau bis zum Ende der Saison beizubehalten. Gegen Stralsunds Zwote am nächsten Wochenende wird es mit weniger auch kaum gehen.” Typisch Trainer: Mit dem einen Auge freut er sich mit seinen Spielern über den aktuellen Erfolg, mit dem anderen wird bereits die nächste Begegnung in den Blick genommen.

MTV:

Philipp Pohl (Tor), Emmanuel Frimpong (Tor), Nico Cornelius 9, Friedrich Hanschel 2, Stefan Kurth, Marco Leupert 2, Josip Perkovic 1, Fabian Plaul 1, Florian Riegler 1, Toni Schäl 1, Ridha Trabesi 4, Christian Untermann 2, Stephan Untermann 2, Dominic Witkowski 7/5.

Foto: Edgar Nemschok

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